So schnell geht das. Noch vor einer Woche waren sich sämtliche Medien und "Experten" einig. Die Deutsche Meisterschaft ist vorzeitig zugunsten des FC Bayern entschieden. Satte acht Punkte lagen die Münchner nach dem Sieg in Wolfsburg vor "Verfolger" Borussia Dortmund. Nur drei Tage später die Zeiten- und Meinungswende. Während die als nahezu unschlagbar in himmlische Höhen glorifizierten Guardiola-Cracks Mainz 05 "dahoam" mit 1:2 unterlagen, verkürzte der BVB den Abstand auf den Rekordmeister durch einen 2:0-Sieg in Darmstadt auf fünf Punkte.
Am Samstagabend können die Schwarzgelben den Bayern mit einem Sieg im direkten Duell bis auf zwei Punkte "auf die Pelle" rücken und die Meisterschaft wieder spannend machen. Das mit über 80.000 Zuschauern einmal mehr ausverkaufte Westfalenstadion als neues "Theatre Of Dreams"? Was dafür spricht, könnt ihr nachfolgend erfahren...
Der deutsche "Classico" weckt auch diesmal nicht nur nationales Interesse. 209 Länder übertragen den Bundesliga-Gipfel der beiden besten deutschen Teams live in Millionen von Haushalten weltweit. Die Partie zwischen Borussia und Bayern elektrisiert die Massen Jahr für Jahr aufs Neue. Unabhängig von der jeweiligen Tabellenkonstellation.
Die könnte sich diesmal mit einem Dortmunder Sieg extrem zuspitzen. Ein Zwei-Punkte-Rückstand der Tuchel-Elf bei dann noch neun ausstehenden Bundesligaspielen würde die verloren geglaubte Spannung in der "Liga der Weltmeister" neu entfachen. Der westfälischen Konstanz sei Dank. Denn der BVB punktete in der Rückrunde zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk. Sechs von sieben Spielen wurden gewonnen. Lediglich beim torlosen Remis in Berlin ließ Borussia zwei Punkte liegen. Durch diese "Serie" hielt Dortmund Anschluß an die davon zu eilen drohenden Münchner.
Die Ursachen für die üppige Dortmunder Punkteausbeute in der Rückrunde lassen sich rein faktisch an nackten Zahlen festmachen. Nur zwei Gegentore ließen die Westfalen in den bisherigen sieben Bundesligaspielen des Jahres 2016 zu. Ein Ergebnis tagtäglicher harter und akribischer Arbeit des "Tüftlers" Thomas Tuchel, der in der Winterpause erfolgreich an den noch in der Hinrunde zu oft aufgetretenen Mängeln im gesamten defensivtaktischen Verhalten des Teams feilte.
Schluß mit dem zweifellos wunderbar anzuschauenden und fast ausschließlich auf Offensive angelegten, oft aber auch naiv wirkenden Hurra-Stil vergangener (und ebenfalls erfolgreicher) Tage. Auch und vor allem der hohen Belastung des noch immer auf drei Hochzeiten tanzenden Teams geschuldet, richtet Tuchel den Fokus des "neuen" Dortmunder Fußballs mehr und mehr auf kraftsparenden eigenen Ballbesitz. Das Leder lange in den eigenen Reihen zirkulieren lassen, geduldig auf die sich irgendwann zwangslaufig aufreißenden Lücken in den gegnerischen Reihen warten und den dann folgenden möglichst messerscharfen "tödlichen" Pass mit einem erfolgreichen Torabschluß veredeln. Pragmatismus gepaart mit Spielfreude - das neue Dortmunder Erfolgsrezept.
Ein nahezu revolutionär anmutender Taktik-Wechsel des Klopp-Nachfolgers, dessen Reifeprozess sich bereits in der Hinrunde deutlich sichtbar abzeichnete und den die Borussen schon jetzt - und somit viel schneller als erwartet - überraschend erfolgreich auch umzusetzen verstehen. Der Tuchel-Elf gelingt es immer häufiger, auch die sogenannten "dreckigen" oder schwächeren Spiele erfolgreich zu bestreiten. Motto: auch ein 1:0-Sieg bringt drei Punkte.
Unser 12. Mann: die gelbe Wand! |
Ein weiterer und ebenso wichtiger Mosaikstein in der scheinbar unendlichen Maßnahmenkette des extrem kreativen Tuchels ist die durch ihn angeworfene und in mittlerweile jedem Spiel teilweise extrem durchgeführte personelle Rotationsmaschinerie. Bis zu acht (!!!!!) Wechsel in der Startformation sind mittlerweile keine Seltenheit mehr beim BVB. Dabei nimmt Tuchel weder auf Namen noch auf Verdienste vergangener Tage Rücksicht. Die Folge: die Startformation des BVB-Coaches vorauszusagen, kommt dem Schwierigkeitsgrad, einen Lottoschein mit sechs richtigen Zahlen auszufüllen, sehr nahe. Eine seriöse Vorbereitung des gegnerischen Trainers auf den BVB ist nahezu unmöglich.
Damit gelingt es Tuchel nicht nur, die tagtägliche Spannung und Anspannung im Trainingsbetrieb seines Kaders aufrecht zu erhalten, sondern auch die körperlichen und mentalen Belastungen jedes einzelnen Akteurs zu steuern und möglichst gleichmäßig zu verteilen. Dies wiederum hat nicht nur eine nahzu unbegrenzt erscheinende taktische und personelle Flexibilität zur Folge. Auch ein lange Zeit in Dortmund nicht gekannter niedriger personeller Krankenstand resultiert daraus. Gegen die Bayern muß "lediglich" Innenverteidiger Sokratis verletzt passen.
Nur einige wenige Akteure fallen dem Tuchelschen Rotationsprinzip eher selten zum Opfer. An seiner "Achse" hält Dortmunds Coach meistens fest. Hummels, Gündogan, Mkhitaryan und Aubameyang sind bei ihm so gut wie "gesetzt". Alle anderen Positionen und Personalien tauscht der Trainer mittlerweile nahezu permanent durch, ohne daß die Leistungsfähigkeit des Teams darunter leidet. Auch ein Beweis dafür, daß es Tuchel gelungen ist, sämtliche Spieler seines Kaders auf ein durchgehend einheitlich hohes Niveau zu heben.
Natürlich gibt es nach wie vor auch Schwächen, an denen kontinuierlich gearbeitet werden muß. Insbesondere gegnerische Standardsituationen stellen die Dortmunder Defensive nicht selten vor große Probleme. Bei hohen Bällen des Gegners beispielsweise wirkt Borussia nach wie vor sehr anfällig.
Auch in punkto Offensive, dort vornehmlich bei der Präzision des "letzten Passes", besteht weiterhin Handlungs- und Verbesserungsbedarf. Aber selbst ein mittlerweile auch international beachteter und anerkannter Trainer wie Thomas Tuchel kann Rom nicht an einem Tag erbauen.
Wie sagte doch BVB-Legende Adi Preißler vor Jahrzehnten? "Grau ist alle Theorie. Entscheidend is auffm Platz." Und genau dort, auf dem Rasen des Westfalenstadions kann Borussia Dortmund am Samstagabend gegen Bayern München unter Beweis stellen, ob die Mannschaft bereits "meistertauglich" ist.
Eins steht schon vor dem Giganten-Duell ohnehin fest. Borussia kann - unabhängig vom Ergebnis - nur gewinnen. Im Falle eines Sieges kann der weitere schwarzgelbe Saisonverlauf tatsächlich mit dem in dieser Spielzeit nie für möglich gehaltenen Gewinn der Deutschen Meisterschaft enden. Ein Remis ließe die Hoffnung auf einen spannenden Titelkampf zumindest weiterhin am leben. Und im Falle einer Niederlage wäre die Borussia immer noch das, was ihr viele vor Saisonbeginn prophezeiten - ein sicherer Kandidat für die Teilnahme an der nächsten ChampionsLeague-Saison.
Ich glaube an den BVB. Im brodelnden Hexenkessel Westfalenstadion gewinnt die Tuchel-Elf gegen Bayern mit 2:0. Aber fragt mich nicht nach der Startformation...
Markus Flügel
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